Kindliche Sexualität im Kindergartenalter

Sexualität als Lebensenergie

Sexualität ist eine allgemeine Lebensenergie. Sie ist von Geburt an präsent und nimmt ein Leben lang verschiedene Ausdrucksformen an, die nicht vielfältiger und beeinflussbarer sein könnten (Uwe Sielert, Diplom-Pädagoge und Sexualpädagoge). Als Erwachsene sind wir uns der positiven und negativen Aspekte der Sexualität bewusst, kennen Schamgefühle und den Balanceakt zwischen Lust und normativen Wertvorstellungen. Deshalb neigen Erwachsene dazu, die sexuelle Entwicklung von Kindern zu moralisieren und sie aus ihrer eigenen Perspektive zu betrachten.

Dabei entfaltet sich die psychosexuelle Entwicklung – die Wechselwirkung zwischen psychologischen und sexuellen Aspekten der menschlichen Entwicklung – ähnlich wie die sprachliche und motorische Entwicklung. Obwohl diese Entwicklung stark von äußeren Faktoren wie der jeweiligen Familienkultur und politischen Strömungen beeinflusst wird, geschieht sie gleichzeitig intrinsisch.

Die kindliche Sexualität

Vor der Pubertät sprechen wir von kindlicher Sexualität. Diese ist spontan und spielerisch und geht über reine genitale Stimulation hinaus. Kinder erleben ihre Sexualität auf eine egozentrische Art und Weise, ohne sich der sexuellen Handlung dahinter bewusst zu sein. Sie erforschen ihren Körper und ihre Sexualität instinktiv und handeln ohne reine sexuelle Absichten. Zum Beispiel ist ihnen nicht bewusst, dass das Spielen an den Genitalien an der Supermarktkasse oder das Erzählen über Papas Intimbehaarung im Kindergarten-Morgenkreis als unangenehm oder unangemessen empfunden werden kann. 

Neben den bekannten “Doktorspielen” gehört zur sexuellen Entwicklung im Kindergarten die sinnliche Erfahrung verschiedener Materialien auf der Haut und im Mund. Kinder erleben ihren Körper als ein Instrument, um Gefühle und Emotionen zu formen, können ihn an- und entspannen und sich somit regulieren sowie Grenzen setzen und gelegentlich auch überschreiten. Sie erkunden ihre Geschlechtlichkeit, vergleichen ihre Genitalien und entwickeln so ein Gefühl der Zugehörigkeit, was ihnen zunächst Sicherheit bietet. Dabei gehen Kinder in Beziehung zueinander, lernen was ihnen gefällt und was nicht und überschreiten gelegentlich auch intime Grenzen.

Sexuelle Bildung ist Prävention

Eltern und Erzieher*innen stehen hier gleichermaßen vor einer großen Herausforderung. Obwohl sie die positiven, identitätsstiftenden Aspekte der sexuellen Entwicklung kennen, steht gleichzeitig der Schutz vor sexuellen Grenzverletzungen an oberster Stelle. Wichtig ist hier eine verantwortungsvolle und reflektierte Begleitung mit dem Ziel, eine sinnliche und einvernehmliche Sexualität zu fördern. Fortbildungen und die Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie können Fachkräften dabei helfen, eine professionelle und scham reduzierte Haltung zu entwickeln. Eltern, die als Experten für ihre eigenen Kinder angesehen werden sollten, benötigen neben der Vermittlung von Wissen über kindliche Sexualität auch eine sensible und offene Kommunikation auf Augenhöhe.

Die Sexualpädagogik (heute als “sexuelle Bildung” bezeichnet) sieht sich nicht mehr nur als “Aufklärer” für Jugendliche. Sexuelle Bildung findet in jedem Alter und in jeder Kultur statt und unterliegt einem ständigen Wandel. Heute wissen wir, dass sexuelle Bildung im Kindesalter die sprachliche Fähigkeit zur Benennung des eigenen Körpers und das Setzen von Grenzen fördert und keineswegs zu frühzeitigem Geschlechtsverkehr führt (BZgA-Repräsentativstudie “Jugendsexualität 9. Welle” 2019/20).